Text_2

Im Zeichen Europas stand die Feierstunde zum Tag der Deutschen Einheit im Historischen Konzertsaal der Spessart Therme, an der auch die  französischen Freunde aus der Partnerstadt Guilherand-Granges teilnahmen, die mit einer 30-köpfigen Delegation der Kurstadt einen Besuch abstatteten, unter ihnen Bürgermeisterin Sylvie Gaucher und die Präsidentin der Verschwisterungsvereins Josette Mallet. Auch die Bürgermeister der Bergwinkel-Kommunen, sowie der ehemalige Europaabgeordnete Thomas Mann waren zur Feierstunde gekommen.

Die Festansprache zum Thema „Zeitenwende für Europas Sicherheitsordnung“ hielt Dr. Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik, Forschungsgruppe Sicherheitspolitik in Berlin.

Den Fokus seiner Begrüßungsansprache legte Bürgermeister Dominik Brasch auf die europäische Einigung. Es gelte, Bedeutung, Erfahrung und Erfolg der innerdeutschen Geschichte weiterzutragen. Tatsächlich dürfe man den Blick nicht nur auf das vereinigte Deutschland richten, sondern gemeinsam für ein starkes Europa eintreten, gerade in Zeiten, in denen nationalistische Kräfte erstarkten.

Es sei unmöglich das Fest der Wiedervereinigung zu feiern, ohne an den Krieg in einem  nur 1.500 km entfernten europäischen Land zu denken. Ein Krieg, der unbeschreibliches Leid über die Menschen bringe, sie ihrer Heimat beraube, Städte verwüste und Kinder und Erwachsene physisch und psychisch verletze oder gar töte. Die Menschen flüchteten, weil ein aggressiver Verfälscher der Geschichte seinen Machthunger auslebe.

„Wie gehen wir als Europa, als Stadt, als Personen mit dieser Herausforderung um?“  In Schlüchtern, Sinntal und Bad Soden-Salmünster seien Bürgerinnen und Bürger sogleich aktiv geworden, und hätten Konzepte entwickelt, den geflüchteten Menschen das Leben zu erleichtern, wusste der Bürgermeister.

 „Frieden ist nicht selbstverständlich! Wir müssen dafür einstehen!“, appellierte Dominik Brasch.

Vor diesem Hintergrund seien Städtepartnerschaften wichtig. „Die Säulen unserer Partnerschaft sind Offenheit, Vertrauen und Solidarität, dies wollen wir unseren jungen Leuten mitgeben. Es ist schön, dass wir eine echte Freundschaft leben“, wandte sich der Bürgermeister nach seiner bemerkenswerten Ansprache an die französischen Freunde.

Die deutsch-französische Freundschaft spiele eine unersetzliche Rolle bei der Konstruktion Europas, sagte Sylvie Gaucher.

„Es sind leider für europäische Ideen keine guten Zeiten“, leitete der Festredner Dr. Markus Kaim seine Ansprache ein. Mit Stimmungsmache gegen die EU gewinne man derzeit in Europa Wahlen.

Der Krieg habe eine tektonische Verschiebung in Gang gesetzt: Deutschland kündige erhebliche Verteidigungsinvestitionen an, die EU liefere Waffen an die Ukraine, Finnland und Schweden strebten zur Nato, Russlands zunehmende Isolation lasse das  Land näher an China rücken.

Der Konflikt verändere zudem die globalen Macht- und Ordnungsstrukturen, wie steigende Energie- und Nahrungsmittelpreise zeigten. Der Kampf gegen den Klimawandel drohe in den Hintergrund zu geraten.

Nach Ende des Militäreinsatzes werde sich der Krieg auf die Ebenen der Politik, Wirtschaft, Kultur und den Cyberraum verlagern. 

Aus europäischer Sicht gehe es um eine neue geopolitische Ordnung, die ohne oder sogar gegen Russland gestaltet werde, denn Russland werde wohl die Souveränität der Staaten nicht achten, sondern das Recht des Stärkeren vertreten.

Europas Einfluss hinsichtlich einer neuen Sicherheitsordnung werde von seiner Einigkeit abhängen.

Niemand wisse, wann und wie der Krieg ende, doch es sei für Deutschland und Europa nötig, eine neue Sicherheitsordnung zu definieren. Dazu entwickelte der Referent drei Szenarien: Konfrontation, Koexistenz und Kooperation.

Das Szenario der Konfrontation, unterstellt die Bereitschaft der EU, ihre Strukturen umzustellen. Militärisch könnten Europa, die USA und Russland eine fragile Stabilität durch Abschreckung erreichen.

Ökonomisch entstünde eine eurasische Wirtschaftszone, in der Russland zum Vorteil Chinas, seine Ökonomie an dessen Seite  entwickele.

Unterdessen entstehe in Europa ein  „Europa der flexiblen Geschwindigkeiten“, wobei Nichtmitgliedern eine Mitgliedschaft ohne Mitbestimmung, sowie die Teilhabe in Bereichen, wie Energie, Verteidigung Infrastruktur und Klima eingeräumt werde.

Basis des Szenarios der Konfrontation sei „ein starkes Europa, das Russland isoliert und in Chinas Arme treibt.“

Das Szenario der Koexistenz zeichnet das Bild eines zerstrittenen Europas. Einer der Streitpunkt könne der Umgang mit Staaten wie Belarus, Moldau und Georgien sein, die somit leicht unter den Einfluss Russlands gerieten.

Die EU-Sanktionen gegen Russland könnten nach einem Waffenstillsand auslaufen und Russlands Einnahmen steigern. Europa rücke vom Klimaziel ab, die Temperaturgrenze von maximal zwei Grad globaler Erwärmung werde infrage gestellt. Innerhalb der Nato beginne die Debatte um faire Lastenteilung und die Unvereinbarkeit von strategischer Autonomie und transatlantischer Partnerschaft. „Europa kehrt zurück zu alter Schwäche“ lautet die Formel des Koexistenz-Szenarios.

Im Szenario der Kooperation liege der Fokus auf den Entwicklungen in Russland selbst. Die Sanktionen bewirkten den Zusammenbruch der russischen Wirtschaft. Grundnahrungsmittel fehlten, Unruhen breiteten sich aus. Putin werde entfernt und dem Strafgerichtshof in Den Haag übergeben. Machtkämpfe destabilisierten das Land, Flüchtlingsbewegungen aus Russland setzten sich in Gang. China sichere die russischen Atomanlagen, baue Russlands Bodenschätze ab. Europa konkurriere mit China um Einfluss in Russland.

Unter dem Titel „Russland implodiert – ein neuer Sicherheitsvertrag wird möglich“, zeichnete der Referent das Bild eines zerfallenden Russlands.

Nur ein starkes Europa könne eine Sicherheitsordnung mitgestalten. Die Idee des „Westens“ müsse weltweit als Bündnis aller demokratischen Staaten gedacht werden.

Der Referent sprach sich für eine Europäische Union der unterschiedlichen Geschwindigkeiten aus. Einerseits sollten EU-Staaten die Möglichkeit zur Vertiefung der politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit haben, anderseits sollte anderen Staaten eine Mitgliedschaft mit eingeschränkter Mitbestimmung angeboten werden.

Eine gesicherte Energieversorgung gehöre unbedingt zur künftigen Sicherheitspolitik, um Abhängigkeiten zu minimieren.

Egal welches der drei Szenarien wahrscheinlich scheine, Europa müsse seine Verteidigung selbstbestimmt in die Hand nehmen, resümierte Dr. Markus Kaim.

Thomas Otto Schneider, der Vorsitzende der Europa-Union Kreisverband Schlüchtern-Gelnhausen, gab zu bedenken, dass es zwischen Ost- und Westdeutschland noch immer Unterschiede gebe, etwa bekleideten frühere DDR-Bürger seltener Führungspositionen.

Die musikalische Ausgestaltung hatte das Gemeinsame Jugendorchester der Musikvereine Bad Soden und Salmünster unter Leitung von Carmen Merz, die einen ukrainischen Musiker als Orchestermitglied vorstellte. Die Europa-Hymne, „Imagine“ und weitere ausgewählte Stücke bereicherten die Veranstaltung.