Fulminanter Auftakt der Puppenspieltage
„Kaspertheater ist keine Kunst mehr, sondern Grabpflege“, konstatierte der Räuber und sah für das Ensemble mit Großmutter, Krokodil, Seppel und Kasper keine Zukunft mehr. Gretel hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits aus dem Staub gemacht. Mit „Fifty Shades of Gretel“ feierten die 30. Steinauer Puppenspieltage vergangenen Samstag einen fulminanten Auftakt in der ausverkauften Katharinenkirche. Gute eineinhalb Stunden führten Stella Jabben und Volker Schrills vom Theater Blaues Haus das Publikum hinter die Kulissen des Kaspertheaters. Um den drohenden Niedergang aufzuhalten und auf der Suche nach Themen des 21. Jahrhunderts hatte Gretel Kasper den Bestseller „Fifty Shades of Grey“ als ein neues Stück vorgeschlagen, was dieser empört ablehnte – zumal plötzlich, quasi nebenbei, auch seine Liebesbeziehung zu Gretel auf dem Prüfstand stand. Diese machte sich schließlich, frustriert von der mangelnden Unterstützung, auf den Weg zum Teufel und damit in die Unterwelt, in dessen „Sado-Maso-Pritschenstudio“. Der Teufel witterte seine Chance und versuchte Gretel mit einschmeichelnder Stimme als Domina anzuwerben. Währenddessen ging es im Kaspertheater drunter und drüber. Die Großermutter, mittlerweile etwas „tri tra trulala unter der Haube“ gerät zur AfD-Braut, Seppel träumt von den ganz großen Rollen, der Räuber besinnt sich auf seine Ausbildung an der Folkwang Hochschule und der Kaper gibt die überraschende Warnung heraus: „Hütet euch vor dem Eierlikör!“. In der Backstage-Komödie „FiftyShades of Gretel“ greifen die Puppenspieler Stella Jabben und Volker Schrills politische und gesellschaftliche Themen wie Rechtspopulismus, Sensationspresse, Coming-Outs, Rollentausch und Empörungskultur ebenso auf wie Zitate aus klassischer Literatur und Verweise auf Filmhits wie „Stirb langsam“ und „Star Wars“. Kurzum: Das Potpourri deutscher Prototypen prallte aufs 21. Jahrhundert. „Scheiß Römer“, schallte es am Mittwoch bei der Aufführung des Figurentheaterstücks „The Bright Side of Life“ nicht nur einmal durch die Katharinenkirche. Im Programmheft angekündigt als: Stück mit „skurrilem Wortwitz, schwarzem Humor und unverwüstlicher Spielfreude“ erfüllten die Akteure Carsten Dittrich, Jan Mixsa und Sebastian Kreutz diesbezüglich alle Erwartungen. Herrlich überzeichnete Charaktere, das skurrile Erscheinungsbild der Puppen und die unbändige Freude am Spiel auf der Bühne nahmen das Publikum vom ersten Augenblick an gefangen. Große Kunst schien hier beinahe mühelos zu gelingen. Ob Brian, der ganz gegen seinen Willen zum Messias wird, seine Mutter, ein kreischendes, keifendes Weib, der mit einem Sprachfehler geschlagene Cäsar oder die beiden Wachen bei der Kreuzigung („Bitte jeder nur ein Kreuz.“): Sie alle sorgten für großartige Unterhaltung und viel Gelächter.