Kühne Phantasie und technische Brillanz

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Es war ein Abend voller Überraschungen. Torsten Laux, seit 1999 Orgel-Professor an der Robert-Schumann-Musikhochschule Düsseldorf, international renommierter Konzertorganist und Preisträger zahlreicher Orgelwettbewerbe, nahm beim „Kleinen Orgelsommer Steinau“ das Konzertpublikum mit auf eine faszinierende Reise in die Welt der früh- und hochbarocken Orgelmusik. Das prunkvolle Orgelgehäuse der Katharinen-Orgel von 1681 bildete den würdigen optischen Rahmen für ein meisterlich dargebotenes Programm mit Werken von Frescobaldi, Froberger, Muffat, Sweelinck und Böhm.
Die erste Überraschung: Der romantische Klang-Fundus der Wagner-Orgel von 1871 lässt sich auch für Musik nutzen, die teilweise über 200 Jahre älter ist! In unerhört freier Experimentier-Laune lockte der Organist durch ständig wechselnde Register-Verbindungen die Zuhörer in immer neue Klangwelten, wobei sogar das berühmte „Harmonium“-Register ausgiebig zu hören war.
Die zweite Überraschung: Die Steinauer Wagner-Orgel weckt seit ihrem technischen Neuaufbau (2018) durch ihre präzise Mechanik auch bei renommierten Interpreten offensichtlich besondere Spiel-Laune und animiert zu schnellen Tempi ebenso wie zum Auskosten barocker Spiel- und Interpretationsnuancen.
Das Programm, das Torsten Laux mitbrachte, zeigte nicht nur Wechselwirkungen zwischen den frühbarocken Orgel-Ländern Italien, Deutschland und den Niederlanden, sondern nahm auch Bezug auf die parallel laufende Tradition der Tasteninstrumente Cembalo und Orgel. Die gerade beim Cembalo übliche freie und improvisatorische Gestaltung der Musik kostete Laux auch auf der Orgel bis zum Extrem aus, und beim Einbringen von überraschenden Tempo-Änderungen, spontanen Verzierungen, Trillern und arpeggierten Akkorden bewies er ebenso viel kühne Phantasie wie technische Brillanz. Dabei schreckte er auch vor ungewöhnlichen Stilmitteln nicht zurück: Bei der bekannten „Fantasia chromatica“ in d von Jan Pieterszon Sweelinck zeigte er durch überlanges Halten von Einzeltönen die Dissonanzfreudigkeit des niederländischen Komponisten, auf die der Organist bereits bei seiner kurzen Einführung zu Konzertbeginn hingewiesen hatte.
Neben den freien Werken war gegen Ende des Programmes auch ein Choral gebundenes Werk zu hören: Die acht Variationen über das Kirchenlied „Ach, wie nichtig, ach wie flüchtig“ des norddeutschen Barockmeisters Georg Böhm erklangen im Wechsel mit den acht von G. M. Göttsche gelesenen Textstrophen, wobei die Zuhörer eingeladen waren, sich Gedanken über den Zusammenhang zwischen Text und Musik zu machen.
Der herzliche Beifall des Publikums animierte den Orgelprofessor schließlich noch zu einer Zugabe: Er improvisierte spontan über Beethovens Melodie zu Schillers „Freude, schöner Götterfunken“ und unterstrich damit in eindrucksvoller Weise die zeitlose, immer wieder ersehnte Vision der Zeile „Alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt“.
So konnte auch beim dritten „Orgelsommer“ der Stadt Steinau wieder ein überregional bekannter Organist die Vorzüge der historischen Wagner-Orgel in begeisternder Weise dem Publikum vermitteln, und es ist zu wünschen, dass die Reihe auch in den kommenden Jahren fortgesetzt wird.