Erlebnisse und Erfahrungen im Herzen bewahren

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Ehe die Bagger anrollen und das „Erholungsheim“ in Steinau noch in diesem Sommer einem neuen Kindergartengebäude weichen wird, hieß es am vergangenen Samstag Abschied nehmen.
Viele Steinauer waren gekommen, um sich in einer kleinen Feierstunde auf dem von alten Bäumen beschatteten, idyllischen Außengelände noch einmal an die lange und bewegte Geschichte des Backsteingebäudes zu erinnern, in dem noch für eine kurze Zeit ein Kindergarten und vier Grundschulklassen der Brüder-Grimm-Schule beheimatet sind.
Begrüßt wurden die Gäste von Pfarrer Gernot Fleischer, der neben Bürgermeister Christian Zimmermann auch den Schulleiter der Brüder-Grimm-Schule, Guido Seib, mit Kolleginnen sowie Erzieherinnen der evangelischen Kindertagesstätte Märchenwald willkommen hieß.
Gerd Euler, Mitglied des geschäftsführenden Vorstands des Geschichtsvereins Steinau, hatte Daten zur Geschichte des „Erholungsheims“ zusammengetragen, die Martin Mascher in dessen Namen vortrug. Ergänzend dazu hatte Euler einige alte Fotografien zusammengestellt, die auf anschauliche Weise die Historie des Gebäudes nachzeichneten und von den Gästen mit großem Interesse betrachtet wurden.
In einer kleinen Anekdote schilderte Gerd Euler seine besondere Verbindung zum „Erholungsheim“. Vor rund 25 Jahren habe eine Gruppe von Vätern viele Samstage geopfert, damit die Stadt Steinau den damals in Kraft getretenen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für Kinder ab dem vollendeten 3. Lebensjahr umsetzen konnte. Mit dem Umbau des Dachgeschosses, überwiegend in Eigenleistung, sei ein zusätzlicher Gruppenraum geschaffen worden. „Es war harte Arbeit, gerade für mich als Schreibtischtäter, aber es hat auch viel Spaß gemacht und daraus sind unter uns Vätern Freundschaften entstanden, die bis heute bestehen.“
Monika Knorr, seit 22 Jahren Leiterin der Kindertagesstätte Märchenwald, lud die Gäste ein auf eine kleine Reise durch 50 Jahre Kindergarten in der Brüder-Grimm-Straße 111. Sie blickte zurück auf den Kauf des Erholungsheims durch die Stadt Steinau in 1972 – die Kaufsumme betrug damals gerade einmal 620.000 Mark – und auf die Eröffnung des Kindergartens im Oktober 1973. Die vier Gruppenräume befanden sich damals alle im Erdgeschoss, einer davon mit Platz für gerade einmal acht Kinder – „mein heutige Büro“, so Monika Knorr.
Im Laufe der Jahre habe es immer wieder Umstrukturierungen und interne Veränderungen gegeben, es entstanden Ganztagsplätze mit Mittagessen und auch eine Hortbetreuung für Schulkinder.
„Unser Kindergartenhaus ist ein überschaubares Gebäude. Jeder begegnet jedem mindestens einmal am Tag“, gab die Einrichtungsleiterin einen Einblick in den Kindergartenalltag und betonte:„Vertrauensvoll und verlässlich hat es jedem einzelnen, groß und klein, während der Kindergartenzeit Schutz und ein beständiges Zuhause gegeben.“
Eingebettet in ein parkähnliches, einzigartiges Außengelände habe das Haus auch in über 130 Jahren seinen besonderen Charme nie verloren. Viele Menschen trügen ganz persönliche Erinnerungen im Herzen und sie hoffe, dass es gelinge, viel von der Atmosphäre des Hauses mitzunehmen „in unsere neue, vorübergehende Einrichtung“.
Gebäude H sei die offizielle Bezeichnung des Main-Kinzig-Kreises für das Schulgebäude im „Erholungsheim“, sagte Schulleiter Guido Seib. Die vier Klassenräume mit den hohen Decken hätten einen ganz eigenen Charme. Für die Lehrer sei es ein Privileg gewesen, in diesen Räume zu unterrichten. „Der Name Erholungsheim und das, was wir damit verbunden haben, wird uns noch lange in Erinnerungen bleiben“, versprach Seib.
„Auch mir tut es leid um das Gebäude und der Abriss tut mir in der Seele weh“, bekannte Bürgermeister Christian Zimmermann. Allerdings gelte es den Anforderungen an eine Kindertagesstätte, die sich in den vergangenen Jahren sehr verändert hätten, gerecht zu werden. Er erinnerte an das „leidige Thema Architektenwettbewerb“ und an die mehrheitlich von den Gremien gefassten Beschlüsse zum Abriss des Erholungsheims. Die Abrissarbeiten würden so vorgenommen, dass die Belastung für die Anwohner gering sei. Die Bodenplatte des neuen Gebäudes werde noch in diesem Jahr fertiggestellt, im Zeitraum März bis Juni 2024 werde der Kindergarten im Rohbau fertiggestellt sein.
Mit einer Andacht, in der Pfarrer Fleischer an die Vergänglichkeit alles Irdischen erinnerte und appellierte, Erlebnisse und Erfahrungen, die mit dem Haus verbunden seien, im Herzen zu bewahren, endete die Feierstunde. Die Gäste hatten nun Gelegenheit, in den Räumen des Kindergartens bei Kaffee und Kuchen zusammenzukommen, Geschichten und Erinnerungen auszutauschen und so Abschied zu nehmen von einem Gebäude, das mit seiner roten Backsteinfassade und seiner Architektur 133 Jahre zu Steinau gehörte.