Löwe, Esel, Vögel und Fische in Feierlaune

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Die Corona-Pandemie hat zwar auch die Kirchenmusiker ausgebremst, sie zugleich aber erfinderischer gemacht. Bestes Beispiel: Bezirkskantorin Dorothea Harris, die ihr seit Längerem geplantes Orgelkonzert „Karneval der Tiere“ kurzerhand ins Internet verlegt hat. Herausgekommen ist ein kurzweiliges Gesamtkunstwerk für Jung und Alt, in dem die 14 wundervollen Sätze Saint-Saëns von passenden Texten und Bildern begleitet werden.
Stolz und ehrfurchtsgebietend marschiert er ein, der majestätische Löwe. Es folgt eine Schar fröhlicher Hennen, kurz darauf biegen die wilden Esel um die Ecke, während es die Schildkröten gemächlich angehen lassen, sanft und langsam das Tanzbein schwingen. „Der Karneval der Tiere“ ist wohl Camille Saint-Saëns‘ bekanntestes Werk und bei kleinen und großen Zuhörern gleichermaßen beliebt. Bezirkskantorin Dorothea Harris hat die ursprünglich für Kammerorchester komponierte Suite nun eindrucksvoll auf der Orgel interpretiert und dabei auf eine Bearbeitung von Heinz-Peter Kortmann zurückgegriffen.
Eigentlich war das Konzert live in der Stadtkirche St. Michael geplant, um Spenden für die Kirchen- und Orgelrenovierung zu sammeln. Da Veranstaltungen dieser Art jedoch noch nicht erlaubt sind und die Kirchenschließung zwecks Renovierungsarbeiten naht, hat Harris beschlossen, das Konzert nicht zu verschieben, sondern online aufzuführen.
Und weil Livestreams viel Übung und eine sichere Internet-Verbindung benötigen, hat sie die kurzen, meist unter einer Minute langen Stücke vorab aufgenommen, gefilmt mit drei Kameras für Orgel, Pedal und Hände, um dann am Ende alles selbst zusammenzuschneiden. „Die Kantorin wurde also auch zur Technikerin“, berichtet sie mit einem Lachen.
Humorvolle Reime
Gut für das Publikum, das der versierten Kirchenmusikerin nun von zu Hause aus ganz genau auf die flinken Finger und Füße schauen und der Schuke-Orgel der Stadtkirche so nah kommen kann, wie es sonst wohl nicht der Fall gewesen wäre. „Das Stück habe ich ausgewählt, weil der Komponist Camille Saint-Saëns dieses Jahr seinen 100. Todestag hat, aber auch, weil mich Transkriptionen von Orchesterwerken auf der Orgel faszinieren“, so Harris. Da trifft es sich, dass der Deutsche Musikrat die vielseitige Orgel zum „Instrument des Jahres 2021“ erklärt hat – beim Schlüchterner „Karneval der Tiere“ ersetzt sie mühelos gleich ein komplettes Orchester.
Wunderbar ergänzt werden die abwechslungsreichen, teils lautmalerischen Melodien an passender Stelle durch die humorvollen Reime Albrecht Gralles, vorgetragen von Dr. Michael Schneider. Bildhaft und beschwingt lässt er die einzelnen Tiere mit ihren Eigenheiten auftreten und intensiviert dadurch das anschließende Hörerlebnis.
Auch der Kinder- und Jugendchor „Die Kirchturmspatzen“ beteiligte sich kreativ: Sophie und Alicia Kaiser, Johann Engel, Mathilda Noll, Sina Maienschein, Hannah und Jakob Schneider, Marlene Feustel, Hannah Weissmann und Lilli Hart steuerten fantasievolle Malereien bei, um die einzelnen Szenen zu illustrieren. Herausgekommen ist so ein originelles, kurzweiliges Gesamtkunstwerk für Augen und Ohren.
Laut, aber gut!
Seit Sonntagabend steht das gelungene, eine knappe Dreiviertelstunde dauernde Konzert kostenlos auf der Internetseite der Kirchenmusik in Schlüchtern zur Verfügung und ist dort auch noch einige Zeit abrufbar. Wem es gefallen hat, der kann direkt online für die Innenrenovierung der Stadtkirche St. Michael und die Überarbeitung der Orgel spenden – oder an eines der ebenfalls dort aufgeführten Spendenkonten der evangelischen Kirchengemeinde Schlüchtern.
Übrigens lohnt es sich durchaus, dem Ganzen ein zweites Mal zu lauschen, dann vielleicht mit geschlossenen Augen: Man sieht die Tiere im Geiste förmlich vor sich, wie sie nacheinander die Empore entern, sich um die Orgel versammeln, um ausgelassen miteinander zu feiern: die Elefantendame im rosa Tüllgewand, die aufgeregt hüpfenden Kängurus, die flatternde, trällernde Vogelschar, die schillernden Fische, der melancholische Schwan, die steinalten Fossilien – und zum großen Finale alle zusammen: laut, aber gut!
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