In einer eindrucksvollen Veranstaltung gedachten Schlüchterner Bürger auf Einladung der Stadt am Judenfriedhof in der Breitenbacher Straße der Reichspogromnacht am 9. November 1938.
In Stellvertretung des Bürgermeisters Matthias Möller begrüßte Stadtrat Hans Konrad Neuroth die Anwesenden und erinnerte mit Zitaten aus der aktuellen Jüdischen Allgemeinen daran, dass sich der Antisemitismus in Deutschland bedauerlicherweise wieder etabliert habe und bloßes Gedenken nicht ausreiche, sondern auch aktives Tun nötig sei.
Er wies darauf hin, dass in Schlüchtern einer der größten hessischen jüdischen Gemeinden existierte, die mit „Stumpf und Stiel von den Nazis ausradiert worden ist“.
Kerstin Baier-Hildebrand, Vorsitzende des Schlüchterner Heimat- und Geschichtsvereines, führte in ihrer Rede aus , wie der Terror auch jüdische Familien in Schlüchtern zutiefst betroffen hatte.
Sie zitierte aus Schilderungen des Schlüchterner Juden Moritz Hubert und dessen Familie, für die erst kürzlich in der Schmiedsgasse und der Obertorstraße Stolpersteine verlegt worden sind.
„In der Reichskristallnacht drang eine Horde von vier bis fünf Nazis in meine Wohnung ein und misshandelte mich dermaßen, dass ich bewusstlos am Boden liegen blieb. Ein Teil meiner Wohnungseinrichtung, meines Hausrats wurde zertrümmert und zerschnitten. Schubladen wurden aufgebrochen und Silbergegenstände sowie wertvolle Schmucksachen, Geld und so weiter gestohlen. Als Waffe respektive Schlagkolben benutzen sie gedrehte Säulen und andere Teile des Treppengeländers der Synagoge. Blutüberströmt kroch ich, nachdem ich das Bewusstsein zurückerlangt hatte, ins Versteck in einem Schweinestall. Als ich am nächsten Morgen in meine Wohnung zurückwollte, wurde ich von meinen Nachbarn mit den Worten begrüßt: „Du verdammter Jude, du lebst ja noch. Ich dachte, sie hätten dich totgeschlagen.“
„Diese jüdischen Familien lebten seit Generationen in Schlüchtern und waren Teil der Gesellschaft“, so Baier-Hildebrand weiter. Sie zitierte dann zum Schluss ihrer Ausführungen den ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog mit den Worten: „Unsere Verantwortung ist es, nie mehr zuzulassen, dass Menschen abhängig gemacht werden von Rasse oder Herkunft, von Überzeugung oder Glaube, von Gesundheit oder Leistungsfähigkeit.“
Der Stadtverordnetenvorsteher Joachim Truss beendete die Veranstaltung mit einem Gebet, nachdem zuvor Sabine Rau und Frau Angelika Hahn mit Musikstücken die Veranstaltung angemessen begleitet hatten.
Bedauerlicherweise waren nur wenige Bürgerinnen und Bürger dem Aufruf der Stadt gefolgt. Im kommenden Jahr werde man die Veranstaltung noch intensiver planen und vorbereiten.