Sein Zaubermittel heißt Chanson

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Für Tim Fischer sind es Zaubersprüche oder innige Gebete: Sie lösen Verkrustungen von der Seele, bringen Menschen zum Lachen oder zum Weinen. Chansons haben aus der Sicht des bekannten Sängers und Schauspielers, der gerade in der preisgekrönten TV-Serie „Babylon Berlin“ zu sehen war, eine gewaltige Kraft. „Und ich tue alles dafür, dass diese fast vergessene Kunst lebendig bleibt“, sagt er im Interview mit Dorothee Müller.

Am Sonntag, 15. September, gastiert Tim Fischer mit seinem Programm „Die alten schönen Lieder“ um 19 Uhr im Rahmen des Kultursommers Main-Kinzig-Fulda in der Stadthalle Schlüchtern.

Schon als 15-Jähriger haben Sie in Bremen auf der Bühne gestanden und Chansons gesungen. Warum ausgerechnet diese Kunstform?
Ich war als Kind sehr schüchtern und beileibe keine Rampensau. Mit den Chansons habe ich eine Ausdrucksform gefunden, mit der ich unglaublich viel vermitteln kann. Ich kann die Menschen damit ermuntern, über ihre Gefühle zu sprechen und das zu verarbeiten, was sie in ihrem tiefsten Inneren empfinden. Das gibt mir Mut und Kraft. Denn in den Chansons geht es auch um Tabuthemen wie zum Beispiel den Tod. Ich denke da an Ludwig Hirschs Lied „Komm‘ großer schwarzer Vogel“ über ein schwer krankes Mädchen, das sich wünscht, von einem Vogel in den Himmel getragen zu werden. Dieses Lied hat eine unglaubliche Wirkung auf die Menschen. Es bewegt sie dazu, sich mit ihren eigenen Verlusten und ihrer Trauer zu beschäftigen, neue Hoffnung zu schöpfen. In unserem heutigen Leben scheint dafür kein Platz zu sein. Die Chansons geben den Menschen diesen Raum.

Sie sind Sänger und Schauspieler. Was ist für Sie das Besondere an der jeweiligen Kunstform?
Deswegen liebe ich das Chanson! Denn hier kann ich beides vereinigen. Ich kann in die schillerndsten Rollen schlüpfen, die ganze Bandbreite von Ironie, Witz und Doppelbödigkeit auskosten. Und dann gibt es wiederum Lieder, in denen ich ganz in meinem Herzen bin – und in der Demut vor dem Schöpfer oder der Schöpferin des Stücks. Ein Beispiel dafür ist Ilse Webers „Ich bin ein kleiner Koffer aus Frankfurt am Main“ über das Gepäckstück eines Besitzers, der im Konzentrationslager vermutlich sein Leben verloren hat. Wenn ich das vortrage, ist es eine große Herausforderung, mich selbst zu fassen und das Gefühl auch an das Publikum zu vermitteln.

Haben Sie ein Lieblingslied?
Tim Fischer: Oh da gibt es viele! Das ist vielleicht ein bisschen wie mit eigenen Kindern – man liebt sie alle und will sie auch gleichberechtigt behandeln. Aber manchmal ist einem eines vielleicht etwas näher als die anderen. Ich denke da an Georg Kreislers Lied ,Kreuzworträtsel‘ über ein Mädchen, das hektisch ein Kreuzworträtsel nach dem anderen löst, sich damit aber im Grunde von ihrer Sehnsucht nach einem Mann ablenkt. Es ist erstaunlich, wie Kreisler sich in das Seelenleben dieser jungen Frau hineinzuversetzen weiß – und wie charmant und liebenswert er das beschreibt.

1996 haben Sie Friedrich Hollaenders Zyklus „Lieder eines armen Mädchens“ neu eingespielt. Er hatte den Zyklus in den 1920ern für seine erste Frau Blandine Ebinger geschaffen. Die Noten von zwei Liedern fehlten komplett und mussten neu komponiert werden. Was war es für ein Gefühl, den Zyklus nach vielen Jahrzehnten wieder zu vervollständigen und zu interpretieren?
Es war ein großartiges Gefühl Friedrich Hollaender diese Ehre postum entgegenzubringen. Es hatte mich zuvor immer traurig gemacht, dass der Zyklus nicht komplett war, denn er ist von allergrößter Schönheit. Er transportiert die Gedanken verschiedenster Mädchen aus dem allerärmsten Milieu – das ist oft sehr tragisch, und gleichzeitig randvoll mit unvergleichlichem Witz, diesem speziellen Berliner Humor, den es heute kaum noch gibt.

Die wilden 1920er Jahre in der Hauptstadt bilden auch den kulturhistorischen Rahmen der ARD-Serie „Babylon Berlin“, in der Sie in der Rolle des Ilja Tretschkow zu sehen sind. Es ist eine Zeit der extremen Umbrüche – sehen Sie Parallelen zu heute?
Damals erlebten die Menschen den Niedergang der Weimarer Republik und das Erstarken des Faschismus. Es herrschte extremste Armut neben totaler Dekadenz, es wurde gefeiert, als ob es kein Morgen gäbe. Wir leben in einer Zeit, in der ebenfalls viel Unverständliches passiert. Und die jungen Leute werden durch die allgegenwärtige Präsenz der Medien mit Zuständen konfrontiert, die oft final erscheinen. Das erzeugt in manchen offenkundig das Gefühl ,Jetzt oder nie‘. Sicher führt das bei einigen zu sehr egozentrischem Handeln. Wer sich aber wirklich mit der Jugend beschäftigt, der wird feststellen, dass es sehr viele junge Menschen gibt, die sich für eine Verbesserung der sozialen Verhältnisse, für Chancengleichheit, Klimaschutz und Nachhaltigkeit engagieren. Uns fehlt der Respekt vor der Jugend.

Das Programm, das Sie in Schlüchtern präsentieren, heißt ,Die alten schönen Lieder‘. Was erwartet das Publikum?
Pianist Thomas Dörschel und ich versprechen hundertprozentig da zu sein und alles zu geben, was das deutschsprachige Chanson zu bieten hat! Und wir bitten um Spenden für das Tauwerk Hospiz in Berlin. Das sind franziskanische Brüder und Schwestern, die an HIV erkrankte Menschen begleiten. Nach dem Konzert sind wir mit einem großen Sektkübel im Foyer, freuen uns über Gespräche und Unterstützung für das Hospiz.

Vorverkauf: Tickets zum Preis von 26 Euro gibt es im Vorverkauf im Ticketshop der Kinzigtal-Nachrichten, Obertorstraße 16, Schlüchtern; dem Museum Brüder Grimm-Haus, Brüder Grimm-Straße 80, Steinau; bei Hölzer Kommunikation, Schlüchterner Straße 8, Sterbfritz; Buchhandlung Dichtung & Wahrheit, Obertor 5, Wächtersbach. Online-Tickets unter www.kukikino.de, weitere Infos unter Service-Telefon (06661) 608-410, täglich 14 bis 16 Uhr.

Foto: Sebastian Busse