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Mehr als 200 Menschen, meist dunkel gekleidet, versammeln sich in Salmünsters Altstadt vor der ehemaligen Synagoge.
Die Stimmung erinnert an eine Trauergemeinde, doch den Verstorbenen, derer hier gedacht wird, wurde keine Beerdigung im Kreise ihrer Lieben zuteil. Sie waren jüdische Mitbürger, die in der Vernichtungsmaschinerie der Nazi-Zeit verschwanden.
Vor etwa 80 Jahren hatten sie ihre Heimatstadt, meist unfreiwillig, verlassen. Angestachelt durch die NS-Propaganda waren aus ihren Nachbarn willfährige Verfolger geworden, die sie mit Verhöhnung, Entrechtung und Repressalien traktierten. Von den 40 Personen jüdischen Glaubens, die 1933 in Salmünster lebten, gelang den wenigsten die Flucht in die Freiheit. Die meisten entgingen Deportation und Ermordung nicht.
Am 9. November 1938 hatte mit der „Reichspogromnacht“, wie die Gewaltexzesse gegen die jüdischen Mitbürger verharmlosend genannt wurden, die organisierte Judenverfolgung im gesamten Deutschen Reich begonnen.
Die Erinnerung an das Schicksal der ehemaligen jüdischen Salmünsterer Mitbürger wachzuhalten, war das Anliegen einer Gruppe aus dem Theater-Ensemble feel-X mit Felix Wiedergrün, Thomas Hummel, Tanja Steinbock, unterstützt von Bernd Heil, Brigitte Steitz, der Stadt, den Kirchengemeinden und der Henry-Harnischfeger-Schule. „Die Stolpersteine sollen nicht nur ein Symbol gegen das Vergessen sein, sondern auch die ständige Mahnung, dass in diesem Land nie wieder Menschen entrechtet, entwürdigt, verfolgt oder ermordet werden“, schreiben die Initiatoren.
Sie organisierten die Verlegung von 15 Stolpersteinen vor den Wohnhäusern von 14 ehemaligen jüdischen Mitbürgern sowie einen Stein vor dem Geburtshaus des Priesters Joseph Müller, der als Widerständler 1944 hingerichtet wurde.
Nachdem Felix Wiedergrün die Anwesenden begrüßt hatte, darunter die Schüler der Geschichtskurse der Henry-Harnischfeger-Schule mit ihren Lehrerinnen und die Konfirmanden mit Pfarrer Fredi Henning, enthüllte Thomas Hummel an der ehemaligen Synagoge eine Tafel, die auf die Geschichte der jüdischen Gemeinde hinweist. Bereits 1362 waren Menschen jüdischen Glaubens in der Umgebung von Salmünster ansässig gewesen.
Der Künstler Gunter Demnig, der Anfang der 1990er Jahre das Kunstprojekt „Stolpersteine“ ins Leben gerufen hatte, und bereits 70 000 Steine in 24 europäischen Ländern verlegt hat, war nach Salmünster gekommen, um mit Tobias Koch vom Bauhof die Steine zu verlegen.
In der Frankfurter Straße 10 erinnern neun Steine mit der beschrifteten Metallabdeckung an Alexander, Emilie, Julius, Martha, Isidor und Manfred Jakob Grünebaum sowie an Cäcilie, Jakob und Ester Strauss. Gegenüber, in der Frankfurter Straße 9, wohnten Paulina Grünebaum sowie Selma und Max Victor, und in der Franziskanergasse 6 erinnern die Pflastersteine an Auguste und Jakob Korn. Junge Leute legten Rosen nieder, verlasen Namen und Schicksale und entzündeten Kerzen, Rabbiner Michael Jedwabny aus Hanau sprach Gebete, und Elmar Egold aus Bad Orb begleitete den eindrucksvollen Erinnerungsakt mit ausgewählten Melodien auf der Klarinette.
Vor dem katholischen Pfarramt erinnerte Dr. Michael Müller an den Priester Joseph Müller. Bürgermeister Dominik Brasch zeigte sich beeindruckt von der würdigen Aktion. Mit Blick auf das, „was mit Bürgern aus unserer Mitte passierte“, mahnte er, fremdenfeindliche Stimmungen als Einstiegsdroge zur Rechtsradikalität nicht zuzulassen.