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„Wir leben in Europa seit mehr als 70 Jahren in Frieden!“ Dieser Satz, der seither obligatorisch die Ansprachen am Volkstrauertag prägte – ungeachtet etwa der kriegerischen Konflikte im ehemaligen Jugoslawien – hatte in diesem Jahr endgültig seine Berechtigung verloren. Zu präsent ist allen Not, Leid und Zerstörung, die die Bomben der russischen Armeen über die Menschen in der Ukraine bringen.
Nicht nur die Redebeiträge, sondern auch die Stimmung während des Festaktes im Spessart Forum spiegelten Betroffenheit und Mitgefühl hinsichtlich der zahlreichen menschlichen Tragödien, die sich täglich kriegsbedingt abspielen.
„Im Jahr 2022 müssen wir Bilder aus der Ukraine sehen, von denen wir gehofft hatten, dass sie sich gerade auf unserem Kontinent niemals wiederholen: Menschen, die vor Bomben in U-Bahnschächte fliehen, die sich an der Grenze von ihren Familien trennen oder gar für immer Abschied nehmen müssen an langen, frisch ausgehobenen Grabreihen,“ beschrieb Bürgermeister Dominik Brasch die Schrecken des Krieges in seiner Ansprache.
Er erinnerte an die Millionen Toten nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion und zuvor im I. Weltkrieg. Allein in der Ukraine seien etwa 170.000 deutsche Soldaten begraben. Nun seien es dieselben Orte, die 1941 angegriffen wurden und heute erneut bombardiert würden. Die historischen Verantwortung Deutschlands bestehe darin, nie wieder gleichgültig gegenüber den Opfern von Krieg und Gewalt zu sein. Gemeinsam müssten die Europäer für Menschenrechte, Frieden und Freiheit und gegen Aggression eintreten. Der aktive Einsatz für eine friedliche Gegenwart und Zukunft in Deutschland, Hessen und „bei uns in Bad Soden-Salmünster“ – dieser Handlungsauftrag leite sich vom Volkstrauertag ab, schloss Dominik Brasch seine Ansprache.
Zuvor hatte er an den kürzlich verstorbenen Ortsvorsteher Winfried Kirchner erinnert, dem als Vorsitzender des VdK-Sozialverbandes, die Erinnerung an die Opfer von Krieg und Gewalt sowie die Mahnung vor kriegerischen Konflikten gerade am Volkstrauertag eine Herzensangelegenheit gewesen sei.
Sie hatte selbst dann nicht an einen Überfall glauben wollen, als alle Menschen in ihrer Stadt nahe Kiew davon sprachen, sagte Natalie Davydenko, die mit ihrer Familie aus der Ukraine geflohen ist und seit März in Bad Soden wohnt. Schließlich schlugen Bomben in Irpin und Butcha nahe ihres Hauses ein, und die Familie lebte zwei Wochen lang im Keller, wo alle krank geworden seien, erinnerte sich die dreifache Mutter und kämpfte mit den Tränen.
„Eigentlich wollten wir nicht gehen. Wir dachten, dass alles schnell enden würde, aber alles verschärfte sich, und wir entschieden uns, zu gehen. Die Kinder sollten nicht leiden, sollten nicht das Schreckliche sehen, sie sind doch unsere Zukunft. Wir wussten nicht, wohin, wir gingen irgendwohin. Und wir hatten großes Glück! Überall auf dem Weg haben wir sehr nette, verständnisvolle und sympathische Menschen getroffen. Im März kamen wir nach Bad Soden. Hier erholten sich die Kinder langsam. Meine Tochter ging zur Schule und fing wieder an zu lächeln. Natürlich war es schwer, die Großeltern zurückzulassen. Wir vermissen sie und sorgen uns um sie. Wir freuen uns auf das Ende des Krieges, aber niemand weiß, wann das sein wird“, erzählte sie und rührte mit ihren selbst verfassten Worten die Zuhörer tief.
„Dank dieser Menschen, die uns hier umgeben, fühlen wir uns sicher und glücklich“, sagte sie mit Blick auf die Kurstadt und dankte allen Menschen „von ganzem Herzen“, die der Familie geholfen hatten.
„Die Hoffnung auf Frieden hat sich leider nicht erfüllt, Kriege holen uns immer wieder ein“, resümierte Friedhelm Buse für den VdK-Sozialverband. Im Dezember 1946 habe sich der VdK Hessen gegründet mit dem Ziel, sich für Kriegsopfer einzusetzen, aber auch alle Maßnahmen zur Friedenserhaltung zu unterstützen. Frieden sei mehr als die Abwesenheit von Krieg, Frieden sei eine Geisteshaltung und habe mit Respekt und Würde zu tun, sagte er.
Pfarrerin Annette Reidt, Pfarrer Michael Sippel und Mitglieder des Kinder- und Jugendbeirats sprachen Gebete.
„Warum lernt der Mensch nicht aus der Geschichte?“, frwagte der stellvertretende Ortsvorsteher Claus Peter Stock. Immer wieder würden Menschen durch Lügen und Verdrehungen der Wahrheit in den Wahnsinn des Krieges getrieben.
Der Männerchor Frohsinn und der Musikverein Cäcilia Bad Soden begleiteten die Feierstunde musikalisch. Begleitet von Abordnungen der Freiwilligen Feuerwehr und des Schützenvereins Stolzenberg wurden Kränze am Ehrenmal auf dem Blauen Platz niedergelegt.