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Auf die „Spuren des Religiösen“ begaben sich die Vorleser der Veranstaltung „Literatur am Kirchplatz“ mit ihren Zuhörern in der Pfarrkirche St. Peter und Paul, wohin die Veranstalter die Lesung, gekrönt von Musik und Gesang mit dem Pianisten Dr. Frank Kleespies und der Sängerin Ann-Christin Wolf, wegen des unbeständigen Wetters verlegen mussten.
Hatten Vertreterinnen der katholischen öffentlichen Bücherei und das Bildungshaus Salmünster in den Jahren zuvor diesen stimmungsvollen Leseabend im Rahmen der Veranstaltungsreihe des Bistums Fulda im Labyrinthgarten des Bildungshauses ausgerichtet, so musste er 2020 natürlich ausfallen. „Das letzte Jahr hat uns gelehrt, dass nicht alles selbstverständlich ist,“ sagte der Leiter des Bildungshauses Bernd Heil in seinen Begrüßungsworten. „Gute Bücher geben keine fertigen Antworten, sondern wollen zum Fragen und Weiterdenken anregen“, befand er, ehe der Leseabend mit den Vorlesern Roswitha Herpel, Leiterin der Caritas Sozialstation, Annette Böhmer von der Arbeitsgemeinschaft Hospiz, dem Kurseelsorger Pfarrer Reiner Modenbach, dem Vorsitzenden des Männerchors Frohsinn Stefan Zengerle und dem Kulturschaffenden Dr. Tobias Viering begann.
Die Verantwortlichen der Bücherei Marie-Luise Hauck, Regina Schilling, Tanja Wolf, Kerstin Gruel-Dorn und Ellen Korn stellten jeweils die Leser und deren Lesestoff vor.
Das Buch von Axel Hacke „Wozu wir da sind. Walter Wemuts Handreichungen für ein gelungenes Leben“, gelesen von Stefan Zengerle, beantwortete keineswegs die Frage nach dem Sinn des Lebens, sondern der Autor entspann in der Rolle des Nachrufschreibers Walter Wemut, der täglich Nachrufe über bekannte und weniger bekannte Verstorbene verfasst, vielfältige Fragen über facettenreiche Aspekte eines gelungenen Lebens. „Es gibt Todesfälle, da merke ich, was ich verpasst habe“, lässt der Autor seinen Protagonisten erkennen. Was ist das gelungene Leben? Alles hängt davon ab, ob es zwischen dem Menschen und der Welt einen vibrierenden Draht gibt. Es kommt nicht darauf an, was wir vom Leben erwarten, sondern was das Leben von uns erwartet. Wer nach dem Sinn fragt, ist passiv, im Gegensatz zu dem, der für die Aufgaben, die ihm das Leben stellt, Verantwortung trägt. Wozu sind wir da? Niemand wird uns diese Frage beantworten, wir müssen es selbst tun!
Eine Geschichte des Abschiednehmens und Wiederfindens zugleich las Roswitha Herpel mit „Zwei Wochen im Juni“ von Anne Müller. Die beiden ungleichen Schwestern Ada, eine unverheiratete Künstlerin, und Toni, Lehrerin mit Familie, räumen das Haus ihrer plötzlich verstorbenen Mutter. Viele Gegenstände erinnern an das gemeinsame Familienleben und eröffnen beiden Schwestern eine Zeitreise zurück in die gemeinsam verbrachte Kindheit.
Um die Glocken einer 700 Jahre alten Stabkirche geht es in im Buch „Die Glocke im See“ von Lars Mytting, gelesen von Pfarrer Reiner Modenbach. In einem abgelegenen norwegischen Dorf will der neue Pastor die alte Stabkirche abbauen lassen, um sie nach Dresden zu verkaufen. Mit der Kirche würden auch die beiden Glocken das Dorf verlassen. Dagegen wehrt sich Astrid, eine junge Frau, deren Vorfahren die Glocken einst gestiftet hatten. Die Dorfbewohner schreiben den Glocken übernatürliche Kräfte zu und vertrauen auf ihr Geläut als Warnung vor heraufziehendem Unglück.
Astrid besteigt den Glockenturm und fühlt inmitten des Staubes vieler Jahre jemanden neben sich. In stiller Zwiesprache mit den Glocken verspürte sie, „dass sie zur Hälfte eine andere war“.
Annette Böhmer las aus dem Debütroman von Delia Owens „Der Gesang der Flusskrebse“ vor. Die Liebes- und Kriminalgeschichte erzählt das Lebensschicksal der siebenjährigen Kya, die mit ihrer Familie im einsam-mystischen Sumpfland von North Carolina lebt. Nachdem ihre Mutter und alle Geschwister die elende Hütte und den alkoholsüchtigen und gewalttätigen Vater verlassen haben, und am Ende auch der Vater von einem Trinkgelage nicht zurückkehrt, schlägt sich Kya in der Wildnis alleine durch. Mit wenigen Sozialkontakten, in weitgehender Isolation überlebt sie in und mit der Natur. Noch als junge Frau wartete sie auf die Rückkehr der Mutter.
Die Geschichte der „Augsburger Puppenkiste“ erzählt der Autor Thomas Hettche in seinem Roman „Herzfaden“, den Dr. Tobias Viering vorstellte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg gründet die Familie Oemichen das bis heute berühmte Puppentheater. Das Marionettentheater wird zur Lebensaufgabe der Familie. Tochter Hannelore, genannt Hatü, fertigt die Marionetten, und ihre Freunde wirken als Puppenspieler. Ab 1961 beginnt mit „Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer“ die Ära der Fernsehübertragungen. Die jüngere Generation bringt neue Geschichten, wie „Der kleine Prinz“ auf die Bühne. Die Kernaussage „Man sieht nur mit dem Herzen gut!“ findet ihre Äquivalenz im „Herzfaden“, dem Hauptfaden der Marionette, der „am Herzen der Zuschauer festgemacht ist“.
Zwischen den Lesepassagen begeisterten die Sopranistin Ann-Christin Wolf und Dr. Frank Kleespies mit auf die Lesungen abgestimmten Gesangs- und Musikstücken. Insbesondere Leonard Cohens „Halleluja“ und „Lenas Song“ aus dem Film „Wie im Himmel“ sorgten für Gänsehaut-Feeling.