Irrwitz, hast Du einen Namen? – Ulrich Tukur! Was rund 650 Zuschauer beim Konzert des bekannten Schauspielers und seiner schrägen Combo „Rhythmus Boys“ im Amtshof der Stadt Steinau erleben, ist ein atemberaubender Schweinsgalopp durch die Musikgeschichte der 1920er und 30er Jahre, herrlich komisch und sowohl schauspielerisch als auch musikalisch brillant dargebracht – das Ganze als Widmung an den Mond und selbstverständlich an das Publikum, das jetzt wohl mondsüchtig geworden ist.
Allein Genosse Luna hält sich an diesem Abend bedeckt – er wird zwar vielfach besungen, bespielt und in bekannter Lyrik zitiert, aber Tukur stellt beim Betreten des vom würdigen Brüder-Grimm-Haus flankierten Amtshofes ganz richtig fest: „Die Sonne ist ja noch da.“ Wenig später weiß Beleuchterin Birte Horst Abhilfe zu schaffen – mittels eines großen Papierlampions in Mondenform, der kurzerhand so installiert wird, dass er über Tukurs Piano schwebt. „Grüß‘ mir den Mond“ – das erfüllen Tukur und die Rhythmus Boys formvollendet.
„Danke ans Kuki“, heißt es nicht nur seitens der Combo, die das wunderbare Ambiente und die luftige Leichtigkeit des Abends zwischen blühenden Rosen und Mauerseglern am Himmel ebenso zu genießen scheint wie die vielen Zuschauer. Der rührige Kulturverein präsentiert mit Tukur und den Rhythmus-Boys bereits die zweite hochkarätige Veranstaltung im Zuge seines Sommerfestivals.
Was das Publikum an diesem Abend mitreißt? Ein Wirbel durch die Tanzpaläste einer ebenso glanzvollen wie fiebrigen Ära, die einen immensen technologischen Wandel erlebt und auf ihr Verderben zusteuert, vorher aber hemmungslos dem Vergnügen frönt. Maßlose Eleganz, Prickeln und Leichtigkeit – das vermögen Tukur und seine Jungs derart authentisch zu vermitteln, dass man sich selbst fühlt wie in einem Amüsiertempel der wilden 20er Jahre in Berlin, Paris oder New York.
Tukur ist ein Zeitreisender, auf Du und Du mit Cole Porter, Louis Armstrong und Glenn Miller; er streut die Perlen des Great American Songbooks mit Lässigkeit und Nonchalance unter das Publikum. Ob „Moonlight Serenade“, „Night and Day“ oder „Moonglow“ – das Publikum wird hineingezogen in diesen rauschhaften Taumel aus Jazz, Step und Swing.
Es ist einfach herrlich, dieser ebenso glanzvollen wie hinreißend arrangierten Musik zu lauschen und gleichzeitig über Tukurs Vermögen zu staunen, so vogelwild zu fabulieren, dass das Publikum in jeder einzelnen Sekunde der Darbietung zwischen Lachen, Zweifeln und Staunen hin- und hergerissen ist.
Unvergessliche Momente
Fakten der Musikgeschichte werden vermischt mit Absurditäten, es entstehen krude Fantasiemärchen, die auch Thomas Manns Hochstapler Felix Krull nicht besser hätte ersinnen können. Eines ist klar: Humor und Intelligenz fehlen diesem Entertainer und seiner, wie er sagt „brüchigen Herren-Combo“ keinesfalls. Alle vier sind respektable Künstler: Neben Tukur der mehr als zwei Meter große Kontrabassist, Schauspieler und Autor Günter Märtens, der körperlich eher kleine, dafür am Schlagzeug umso größere Kalle Mews und der ebenso kulturwissenschaftlich beschlagene wie herrlich schwäbelnde Gitarrist Ulrich Mayer. Diese Kollektion an Unikaten beschert unvergessliche Momente – allein der Anblick ihres Zusammenspiels ist ein reines Luststück.
Hinzu kommt, dass sie das Groteske der Epoche, in der sie sich bewegen, perfekt auf die Bühne zu bringen verstehen – vor allem während des Songs „Mein fröhlicher Kakadu“, bei dem der kompakte Kalle Mews auf dem Schoß des spannenlangen Günter Märtens zur Bauchrednerpuppe mutiert, die scheinbar mechanisch und an den richtigen Stellen zu krähen vermag.
Die Herren amüsieren sich – nach der Pause gar in seidig glänzenden Pyjamas, das ist üblich in den privaten Salons, zu denen auch das historische Hofidyll in Steinau zu zählen scheint.
Das Publikum weiß sich nach zwei Zugaben stilvoll zu bedanken: Mit intensivem und lang anhaltendem Applaus im Stehen.