Eine Hommage an den Mann in Schwarz

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Seit Monaten befindet sich die regionale Kulturszene im Lockdown, so auch das Theatrium Steinau. Die Puppen haben Pause: kein Figurentheater, kein Schauspiel, kein Konzert, kein Kabarett im Saal vor Publikum. Wann endlich wieder geöffnet werden kann, steht in den Sternen. Dennoch lassen sich Detlef Heinichen und Ella Späte nicht entmutigen und arbeiten intensiv an neuen Projekten.
„Wie wir das bisher geschafft haben durchzuhalten, ist für uns selbst ein kleines Wunder“, sagen Detlef Heinichen und Ella Späte, die Macher des Theatriums. „In Starre zu verfallen, ist nicht unser Ding.“ Pessimismus ebenfalls nicht. Beide halten, so betrüblich die Situation auch für sie ist, die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie für notwendig und richtig, „obwohl es schon sehr hart ist, mit anzusehen, wie sich der Terminkalender leert“, gibt Detlef Heinichen zu. „Noch nie in meiner gesamten Laufbahn hatte ich zu Weihnachten und davor keine Vorstellungen. Uns fehlt das Publikum sehr – und wir haben Sorge, ein wenig in Vergessenheit zu geraten.“
Vom Staat gab es kleine Hilfen, um das Überleben zu sichern. Sehr berührt waren der studierte Puppenspieler, der seit 1982 unzählige eigene Inszenierungen und Regiearbeiten zur Aufführung gebracht und schon in Bremen und Dresden eigene Theater betrieben hat, und die renommierte Bühnen- und Kostümbildnerin, die auch als Dozentin tätig ist, von den großzügigen Spenden einiger Leute, um zum Fortbestehen ihrer Spielstätte beizutragen.
In den vergangenen Wochen und Monaten sind sie nicht untätig geblieben und haben die „gewonnene“ Zeit vielfältig genutzt. So ist etwa der Theatersaal im ehemaligen Marstall durch goldschimmernde Borden und grüne Farbakzente verschönert worden. Hinzu kommen werden noch mindestens zwei Engel, wie sie auch im Foyer zu bewundern sind. Die Himmelsboten werden auf den Geländern des Hochparketts thronen. Eine weitere Figur soll eine der Seitennischen schmücken.
Maßgeblich hat das Künstlerduo an der vom Landkreis initiierten „MKK Märchenzeit“ mitgewirkt. 62 Folgen des unterhaltsamen Erzählformats sind inzwischen abgedreht worden und auf dem Youtube-Kanal des Main-Kinzig-Kreises abrufbar. Detlef Heinichen begeisterte in den Videos kleine und große Märchenfans als Jacob Grimm. Im Moment befinden sich er und seine Partnerin in den Vorbereitungen zu gleich zwei größeren Projekten: das für Mitte Juni bis Anfang September geplante Sommertheater Open-Air sowie das „Märchenlabor“, eine spannende Kollaboration mit dem Museum Brüder Grimm-Haus.
2020 spontan ins Leben gerufen, entwickelte sich das Sommertheater, das an drei Wochenenden im zauberhaften Ambiente des historischen Innenhofs stattfand, zum Besuchermagneten. „Wir haben begeisterte Reaktionen erhalten“, berichtet Detlef Heinichen. „Ich denke, eine Neuauflage und somit der Beginn einer Tradition wäre für die Stadt Steinau auch im touristischen Sinne wertschöpfend.“ Attraktion des diesjährigen Festivals wird eine Neuinszenierung sein: „Johnny Cash – das letzte Autogramm“.
Das Stück, an dem Detlef Heinichen derzeit gemeinsam mit Marcel Wagner schreibt, handelt von den Höhen und Tiefen der Country-Legende Johnny Cash und zugleich vom Leben des Straftäters Jack Miller, der die Geschichte aus seiner Perspektive erzählt. Miller ist just zu jenem Zeitpunkt im berüchtigten Folsom State Prison in Kalifornien inhaftiert, als Cash dort ein Konzert gibt – ein Schicksalstag sowohl für den „Mann in Schwarz“ als auch seinen bald größten Fan. Die Inszenierung, die diese zwei Lebensgeschichten kunstvoll und durchaus humoristisch miteinander verwebt, soll mittels Figuren- und Objekttheater, Schauspiel, Animationen/Zeichentrick und Live-Musik umgesetzt werden. Denn natürlich spielen Cashs großartige Songs eine zentrale Rolle.
Darüber hinaus sind weitere Veranstaltungen für das Open-Air-Sommerprogramm angedacht, so etwa der traditionelle Märchenabend vor dem alljährlichen Steinauer Märchensonntag, außerdem Konzerte und vielleicht auch Kinovorstellungen.
Welt zwischen Raum und Zeit
Eine Förderung aus dem Kulturfonds des Kreises ermöglicht das zweite große Vorhaben, mit dem sich vor allem Ella Späte derzeit intensiv befasst und dabei mit dem Museum Brüder Grimm-Haus zusammenarbeitet. In der Remise des ehemaligen Amtshauses, in dem die Brüder Grimm einst ihre Kindheit verbrachten, soll ein „Märchenlabor“, eine Welt zwischen Raum und Zeit, entstehen. Es wird museumspädagogische Arbeit und theatrale Umsetzung miteinander verbinden und richtet sich an alle Generationen.
Geplant sind verschiedene interaktive Module zum Genre Märchen, die vorab ausgewählt werden können. Der Raum, der von Ella Späte entworfen, gestaltet und gefertigt wird, passt sich atmosphärisch, etwa durch eine wandelbare Lichtkonzeption, stimmungsvolle Projektionen und Multimediaeffekte sowie wechselnde Requisiten wie Thron, Schreibpult oder Podest, den unterschiedlichen Themen an, um die Besucher so aus der Wirklichkeit zu holen. „Hier soll sich die Kreativität der Gedanken, Sprache und körperliche Gestaltung entfalten können“, erläutert Detlef Heinichen die Idee dahinter.
Die Gäste werden auf individuell angefertigten Hockern in drei verschiedenen Größen Platz nehmen, an denen Ella Späte augenblicklich arbeitet. Auf einem langen Tisch in der Werkstatt des Theatriums hat sie ihre Zeichnungen ausgebreitet: 30 verschiedene Märchenmotive in Scherenschnittoptik, die zwar an die Biedermeierzeit erinnern sollen, aber keineswegs verstaubt und altbacken wirken. Eingescannt in den Computer, sind sie für unterschiedlichste Zwecke einsetzbar. Für die Gestaltung der Hocker werden sie in Kürze in einer Dresdener Druckerei auf klassizistische Tapeten aufgebracht. Die Sitzkissen wird sie mit Goldleder beziehen, die Abschlüsse mit passenden Zierborden versehen.
Geplant war die Eröffnung des „Märchenlabors“ ursprünglich für Ende März, doch wegen der Corona-Pandemie musste sie verschoben werden. „Wir hoffen auf Ende Mai“, sagt Detlef Heinichen und ergänzt: „Mit diesem Projekt streben wir ein Alleinstellungsmerkmal für Hessen und besonders für die Region Main-Kinzig an.“
Nicht nur in kreativer, auch in technischer Hinsicht tut sich einiges im Theatrium: Über einen Förderantrag konnte unlängst eine professionelle Videoanlage inklusive Schnittplatz angeschafft und installiert werden – denn Detlef Heinichen und Ella Späte möchten künftig verstärkt mit digitalen Formaten experimentieren und Veranstaltungen online präsentieren.
Einen ersten Versuch in diese Richtung haben sie mit Unterstützung von Manfred Grun am vergangenen Samstag bereits unternommen: mit einer Konzertaufzeichnung aus dem Theatrium. Am 6. Februar soll eine zweite folgen und bald schon live gestreamte Events. So sei zum Beispiel eine „Lange Nacht der Erzähler“ denkbar, berichtet Detlef Heinichen.
„Wichtig ist uns, dass diese Anlage für viele Künstler in unserer Region zur Verfügung steht“, betont er, „denn wir sehen uns mit dem Theatrium – als einzige feste Spielstätte in der Umgebung – als kulturellen Leuchtturm für regionale Kulturschaffende.“
www.theatrium-steinau.de