Gute Geschichten für „das Kind im Menschen“

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Der große Geschichtenerzähler Michael Ende wäre vor wenigen Tagen 90 Jahre alt geworden. Ihm zu Ehren haben sieben Kulturschaffende aus der Region ihre Lieblingstexte auf die Bühne des Theatriums Steinau gebracht und bescherten dem zahlreich erschienenen Publikum einen zauberhaften Abend.
Das Licht im Saal ist gedämpft, am Bühnenrand reihen sich Bücher von und über Michael Ende. Von der Decke hängt ein feiner Stoffvorhang, darauf projiziert das überdimensionale Konterfei des Schriftstellers. Dann plötzlich erhellt sich der Bühnenhintergrund, und es erscheint – auf fast magische Weise – John Rogers hinter dem Gesicht Endes und berichtet in lustigen Versen über die Schnurpse: Diese fröhlichen, kleinen Wesen sind überall dort zugegen, wo gute Laune herrscht. Da wären sie an diesem Abend im Theatrium genau an der richtigen Adresse gewesen.
In unterschiedlichen Konstellationen, effektvoll beleuchtet, entführten die Akteure in eine Welt voll Fantasie, Kreativität und Sprachkunst. „Wir wollen heute die ganze Bandbreite seines Schaffens feiern“, kündigte Moderatorin Dorothee Müller an. Zwar hatte der 1995 an einer Krebserkrankung gestorbene Autor weltweit Erfolg, doch litt er ein Leben lang darunter, von der deutschen Literaturkritik als „Schreiberling für Kinder“ verschmäht zu werden. Dabei wollte er nur gute Geschichten schreiben, „für das Kind im Menschen“. Bis heute regen seine Texte Kleine und Große zum Lachen, Nachdenken und Träumen an. Sie sind komplex, haben verschiedenste Deutungsebenen, die sich erst dem erwachsenen Leser in ihrer Gänze erschließen. Sie sind gesellschaftskritisch, philosophisch, manchmal offen politisch und von zwingender Aktualität.
Auf dem Programm standen Auszüge aus den Klassikern Endes, aber auch einige seiner Erzählungen und Märchen, überdies allerlei skurrile Gedichte wie „Die Rüpelschule“ – dies alles verbunden mit der Biografie des Schriftstellers, der mit der Schauspielerin Ingeborg Hoffmann verheiratet war und Anfang der 1970er Jahre nach Italien zog. Dort entstand sein Roman „Momo“, aus dem Rudolf Falk als grauer Zeit-Dieb und Theatrium-Leiter Detlef Heinichen als Friseur Fusi eine Szene spielten, ebenso Romana Falk in der Rolle des Meister Horaz und Mathilda Kirchner als Momo. Die Elfjährige war die jüngste Vorleserin im Bunde und beeindruckte mit klarer Aussprache und schöner Akzentuierung.
Mit einem Abschnitt aus „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ erheiterte Dorothee Müller und sorgte kurz darauf mit einer verstörenden Episode aus der „Unendlichen Geschichte“, in der sich einige Bewohner Phantásiens unter Krämpfen ins zerstörende Nichts stürzten, für Grusel. Ingrid Ganß und Detlef Heinichen gaben Passagen aus „Der satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch“ zum Besten, einem 1989 veröffentlichten Zaubermärchen über Umweltzerstörung – der letzte vollendete Roman des Autors. „Das Traumfresserchen“ brachte Mariéle Syllwasschy zu Gehör, während John Rogers, der die Idee zu dieser Veranstaltung hatte, mit einer surrealistischen Geschichte aus der Textsammlung „Der Spiegel im Spiegel“ über die Begegnung eines Kindes namens Michael mit einem Seiltänzer namens Ende begeisterte. Das Publikum stimmte ins „Lummerland-Lied“ mit ein und verkörperte den wütenden Drachen in Romana Falks witziger Darbietung „Der Lindwurm und der Schmetterling“. Zur besonderen Atmosphäre trug auch Saxophonistin Julia Ballin bei, die in letzter Minute eingesprungen war und das Bühnengeschehen stimmungsvoll untermalte. „Denn danach suchen wir doch letzten Endes nur, die Poesie ins Leben zu verweben, im Leben selbst die Poesie zu finden“, schrieb Michael Ende einmal. Die Poesie, sie war zu spüren an diesem Abend. Und so machten sich die Besucher nach beglückenden zwei Stunden und kräftigem Schlussapplaus beseelt auf den Heimweg. Einige deckten sich zuvor noch am gut bestückten Büchertisch von „Karmanns Schöne Seiten“ mit den Werken Michael Endes ein – schließlich naht das Weihnachtsfest.