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Eines vorab: Dort auf der Bühne steht ein schöner Mensch. Nicht, weil er groß ist, gut gebaut und seine maßgeschneiderten Catsuits mit Eleganz zu tragen weiß. Sondern weil er sich mit absoluter Hingabe seinem Werk widmet – und dieses Werk ist keinem Geringeren zu verdanken als David Bowie.
Was Sven Ratzke mit seiner Bowie-Show „Where Are We Now?“ in der Katharinenkirche Steinau abliefert, ist wahrlich ein Gesamtkunstwerk. So hat es bereits das Hamburger Abendblatt beschrieben, und das Time-Out-Magazine New York hält Ratzke gar für einen der besten Künstler seiner Generation. Das stimmt. Denn er ist tatsächlich einer, der der völligen Hingabe fähig ist. Das fasziniert. Und das passt zum besonderen Ambiente der Katharinenkirche, zu diesem sakralen Raum mit seiner zauberhaften Akustik, stimmungsvoll ausgeleuchtet und mit gebanntem Publikum gefüllt.
Die besondere Strahlkraft, die von Ratzke ausgeht, irritiert auch ein bisschen. Der Kino- und Kulturverein Kuki hat den Künstler nach Steinau geholt – und nach ein bisschen augenzwinkerndem „Fremdeln“ mit dem Land und seinen Leuten kann sich keiner der entstehenden Magie entziehen. Weder Ratzke, noch Publikum.
Auch wenn dieser Bowie-Interpret ein ausgebuffter Schauspieler ist, ständig mit der Provinz kokettiert, obwohl er selber aus dem deutsch-niederländischen Niemandsland stammt, das Publikum auf die Schippe nimmt und sich selbst gleich mit, so ist er doch auf wunderbare Weise echt. Und das erlebt man selten. So selten, dass man zunächst kaum damit klar kommt. Das ist auch an der Stimmung in der Kirche deutlich zu spüren. Ratzke bemerkt diese Unsicherheit, nimmt sie auf, spielt damit. Und gibt den Zuschauern damit Zeit in seinem Universum anzukommen. Man staunt über ihn, diesen Captain Future in seinem heißen Fummel, der Zeit und Raum neue Dimensionen hinzufügt. Selbst wenn das Getöse des Katharinenmarkt-Rummels von draußen gelegentlich vernehmbar wird, heben die Zuhörer ab mit Ratzke und seinem Major Tom aus „Space Oddity“.
Mit dem Superstar Bowie und seinem Werk geht der Künstler ebenso um wie mit dem Publikum: überraschend und in jeder Sekunde authentisch. Den Titelsong seiner Show füllt er mit Schmerz, aber auch mit Hoffnung: „As long as there’s fire. As long as there’s me. As long as there’s you – solange es noch Feuer gibt. Solange es noch mich gibt. Und Dich….“ Er lebt die Worte, er lebt die Musik, und er erzählt so lebendig aus Bowies Leben, als sei er an seiner Seite durchs Berliner KaDeWe gestreift, habe mit ihm London und New York erobert.
Ein Held kann man sein, wenn auch nur für einen Tag. Und Ratzke ist einer – das zeigt er auch mit seiner ganz persönlichen Superman-Uniform: Rot glänzender Catsuit, futuristischer blauer Gehrock. Und es gibt noch einen Helden auf der Bühne, der diesem Zauberwesen ein Teil seines Glanzes verleiht: Pianist Christian Pabst, der eine Symbiose mit Ratzke zu bilden scheint. Kaum hat man solch einen versierten wie einfühlsamen Begleiter erlebt. Die Töne schlingern mit Ratzke über die Bühne, können zur Hülle werden oder entblößen – sie korrespondieren mit der Kunstfigur Ratzke, mit der Kunstfigur Bowie – und sie machen auf wunderbare Weise die Menschen dahinter transparent. Da ist Leiden „Lazarus“, aber da ist auch tief empfundene Freunde und Zuversicht: „Let’s Dance“. Ratzke hat Bowie nie persönlich getroffen. Aber im Grunde hat er ihn so persönlich getroffen wie sonst keiner. Und davon ist das Publikum in Steinau so hingerissen, dass es mehrere Zugaben verlangt.