Am Sonntag gab der Chansonier und Schauspieler Tim Fischer ein großartiges Konzert mit „Schönen alten Liedern“. In der stilvoll als Kabarett inszenierten Schlüchterner Stadthalle begleitete Pianist Thomas Döschel mal kraftvoll, mal zart den Berliner Sänger.
Der Titel war zugleich Programm des vom Kuki-Kulturverein organisierten Abends, der zugleich das fulminante Finale des Kultursommers Main-Kinzig-Fulda 2019 markierte. Es gab keine nostalgische und wehmütige Beschwörung alter schöner Zeiten, sondern umgekehrt: Fischer hatte schöne gute Lieder aus alten Zeiten zusammengestellt, die auch heute noch provozieren oder bewegen können. Die Spannweite der Darbietungen war groß: sie reichte von einer vertonten Dichtung Ludwig Bechsteins, dem Romantiker des 19. Jahrhunderts, über die schwarzen Songs Georg Kreislers nach dem 2. Weltkrieg bis hin zu Ludwig Hirsch, der vor einigen Jahren starb.
„Tja, von wegen schöne Lieder“, meinte der Sänger nach dem dritten garstigen Chanson. Schon Heinrich Heine habe gewusst, dass schöne alte, auch böse Lieder sein können. Dann besang er den „Furz“ eines österreichischen Staatssekretärs: „Jetzt ist der Furz / nicht nur ein Furz / sondern Gesetz!“. Dörschel griff leise in die Tasten des Pianos und Fischer berlinerte den Gassenhauer: „Ich möchte Klavierspielen können“. Danach machte er sich an Stücke von Bertolt Brecht und Hanns Eisler. Wie einst Brecht selbst, rappte er im Sprechgesang: „Wenn Mutter Beimlein auf den Strich geht / Und sie bringt nen Freier nach Haus‘ / Dreht sie das elektrische, bevor sie aufschließt / Auf‘m Treppenabsatz aus!“ Oder er sang Brechts Hymne an ausgebeutete Huren, die quälend lange „Legende der Evelyn Roe“.Der Sänger verwandelte sich mit jedem Song neu und stilvoll in seine singenden Figuren, spielte dabei kein großes Theater auf der Bühne, sondern arbeitete eindrucksvoll lediglich mit veränderter Stimme, viel Mimik und Gestik. Das ist große Bühnenkunst. Seine Verwandlungen wurden durch das geschickt wechselnde Licht, besonders aber durch das die Texte musikalisch pointierende Klavierspiel unterstützt.
Ohne Mühe oder lüsterne Peinlichkeit gelangen Fischer auch die Rollen der frechen Berliner Göre oder der erotisch vernachlässigten Ehefrau, der nur Kreuzworträtsel bleiben. Erstaunlich waren die Wechsel von herausfordernd garstigen zu anrührend melancholischen Chansons. So zeigte er eine tiefe Vielfalt menschlicher Seiten. Nach der Pause kam er ganz in weiß und sang: „Komm großer schwarzer Vogel / ich werde endlich glücklich sein.“ Das war ein Chanson über ein krankes Mädchen, welches sich danach sehnt, durch den Tod erlöst zu werden. Schon zuvor hatte er ein Lied dargeboten, das er einst gemeinsam mit Udo Lindenberg eingesungen hatte: „Ich bin ein kleiner Koffer aus Frankfurt am Main / und ich such meinen Herrn, wo mag er nur sein? / Er trug einen Stern, und war alt und blind / und er hielt mich gut, als wär‘ ich sein Kind.“
Eben noch besinnlich kam er aber auch problemlos ins Schmunzeln: „Ich hab Akne, Akne, Akne und ein bisschen Mundgeruch.“ Die begeisterte Zuhörerschaft folgte dem Sänger mal lautstark und lachend ins Böse, dann erstaunlich sensibel in nachdenkliche Gefilde. Fischer war sichtlich angetan von diesem Publikum und stürzte sich (im übertragenen Sinn) zweimal in den Zuschauerraum. Inmitten der Besucher und Besucherinnen nahm er lustvoll den durch Rudi Schurike bekannt gewordenen Schmachtfetzen „Capri Fischer“ auseinander und ließ das Auditorium den Refrain singen.
Sogar aus der Schweiz kamen Zuschauer, um Tim Fischer hier in Schlüchtern in der Stadthalle zu erleben. Am Ende wollte niemand nach Hause gehen, der Saal tobte und der Sänger gab noch vier oder fünf Zugaben und bekannte: „Ich habe mich hier sehr, sehr wohl gefühlt!“