Kollektive Performance zum Jahrestag des Todesmarsches durch das Kinzigtal
Es ist still vor dem Alten Schlüchterner Rathaus. 250 Menschen halten inne beim Anblick von 45 lebensgroßen Figuren aus Filz und Eisen. In Gedenken an die Todesmärsche vor 72 Jahren tragen die Teilnehmer schweigend die Gestalten nach und nach wenige Meter durch die Obertorstraße. Eine nach der anderen.
„Sie waren hungrig, krank, am Ende ihrer Kraft, voller Angst und ohne Hoffnung“, beschrieb der evangelische Pfarrer Joachim Truss jene 300 bis 400 Männer auf ihrem Todesmarsch vom KZ Katzbach nach Buchenwald. „Wahrscheinlich kamen sie in der Nacht oder in den frühen Morgenstunden hier durch Schlüchtern. Vielleicht hat kaum jemand den Zug gesehen oder sich nicht getraut, darüber zu reden.“
Verdrängen und Verschweigen, die Gräueltaten verwischen: Aus KZ-Häftlingen seien bei den Umbettungen unbekannte deutsche Kriegstote geworden. „Aber es waren polnische Zwangsarbeiter oder auch Juden. Wer nicht mehr konnte, wurde mit Genickschuss hingerichtet und im Straßengraben verscharrt.“
Die kollektive Performance zur Erinnerung an den Todesmarsch vom 24. bis 29. März von Frankfurt nach Hünfeld helfe bei der Aufarbeitung der Zeit des Dritten Reiches, nicht zuletzt weil das unsägliche braune Gedankengut wieder Fuß fasse. „Die Performance will die Angst und Entwürdigung der damaligen Opfer sichtbar machen. 45 Figuren stehen hier, sie sind gefilzt aus grauer Wolle, über einfache Gestelle aus Eisen gelegt. Gedenken Sie der Menschen, für die diese Figuren hier stehen“, so Pfarrer Truss.
Gemeinsam mit dem katholischen Pfarrer Dr. Lech Kowalewski und dem Prediger Rüdiger Jäger gestaltete Truss das Gedenken, das mit einem Schweigemarsch zum Ehrenfriedhof und einer berührenden Ansprache des katholischen Seelsorgers endete. „Ich rede als Betroffener. Mein Onkel Wincenty war einer von 28 000 Häftlingen auf den Todesmärschen nach Buchenwald. Seine letzte Todesstätte hat meine Familie nie herausgefunden“, berichtete Kowalewski und weinte leise. Über die deutsche Geschichte müsse sich jeder ein eigenes Urteil bilden. „Der Todesmarsch war ein Teil einer Politik, wo es keine Opfer und Täter gab. Die Geschichte schreit nach Ehrlichkeit und Gerechtigkeit, wenn sie verdrängt wird“, appellierte der polnische Pfarrer an alle, gemeinsam mitzuhelfen, dass so eine schreckliche Tragödie sich niemals wiederholt.
Die kollektive Performance zur Erinnerung an den Todesmarsch hatte die Künstlerin Ulrike Streck-Plath im Jahre 2012 in Dörnigheim ins Leben gerufen. Am 24. März 1945 wurden die letzten 350 Häftlinge aus dem KZ Katzbach in Frankfurt nachts auf den Todesmarsch getrieben. Mindestens 70 starben. Wenigen gelang die Flucht. Rund 50 Menschen erlebten die Befreiung.