Zehntausende Kalle-Moats-Backe

Text_2

Eigentlich schade, dass Vitali Klitschko nicht drei Wochen später dem Bergwinkel einen Besuch abgestattet hat. Dann hätte der Boxweltmeister ein Event erlebt, das hierzulande seinesgleichen sucht. Mehrere Zehntausende haben am vergangenen Wochenende den Kalten Markt in Schlüchtern zelebriert, als wäre es ihr Letzter.
Sorgen machten sich die Marktbestücker. „Wir können das Wetter nicht ändern. Wir leben damit“, meinte Bananen-Fred. Zumindestens auf Stammgäste wie die Familien Pail und Kirchner konnte er bauen. „Wir kommen immer wegen dem Fred zum Kalten Markt. Der hat das frischeste Obst“, sagten die beiden Mütter. Auch Korbflechter Albert Grosch aus Dipperz, der seit drei Jahrzehnten seinen festen Stand auf dem Kalten Markt hat, nahm den Dauerregen gelassen hin. Mit den Leuten reden und Korbflechten sei sein Hobby, nicht sein Beruf.
„Für die Kinder tut es mir leid“, meinte Jörn Hagemann vom Präsidentenclub, der bei Einbruch der Dämmerung den Lampionzug veranstaltete.
Glücklicherweise schlug das Wetter rechtzeitig um und hunderte Kinder zogen mit ihren Laternen trockenen Fußes durch die Straßen der Innenstadt.
„Jetzt geht’s los“, sagten sich danach Tausende aus Nah und Fern und stürzten sich gegen Abend ins Getümmel. Für viele Ex-Schlüchterner ist der Besuch in der alten Heimat am Kalten Markt Ehrensache. Wie sonst meist am Sonntagnachmittag ging es im Gänsemarsch von Stand zu Stand. Zeitweise gab es kein Durchkommen mehr. Da war die gute Laune bei Marktschreier Bananen-Fred und an den rund 260 Ständen schnell zurück. Weltneuheiten fürs Fensterputzen, noch mehr Glanz fürs Auto fehlten ebenso wenig im Angebot der Händler wie Wollmützen, Holzschnitzereien, Winterstiefel, Schmuck, Weihnachtsdekoration und alles, was das Herz begehrt.
In der Fressgass unter den Linden hatten die hungrigen Besucher die Qual der Wahl zwischen Crêpes, Zwiebelkuchen, Knobi-Baguettes, Germknödel, Champignons, Fischbrötchen, Steaks oder Nierenspieß. Hoch im Kurs standen Glühwein und heißer Orangensaft. Dann eines ist gewiss wie das Amen in der Kirche: Am Kalten Markt schlägt das Wetter um.
Wie die Ölsardinen zusammengequetscht lauschten die Musikfans den Rockbands in den Festzelten. „You are the Sunshine of my Life“: Bei den Planemächern rockte „Sweet Margarita“ mit dem fernsehbekannten Sänger Ingo Margraf als Spezialguest.
„Don‘t stop believin‘“ hieß es im Soldatenlager der Bürgergarde mit der Rockformation „Stampd“, nachdem sich der komplette Herolzer Bloo noch vor Konzertbeginn dort seinen Stammplatz gesichert hatte. Und die Blooburschen wissen, wie und wo man zünftig feiert.
Schwelgten die Generationen X und Golf bei den Hits vergangener Jahre in Erinnerung an eigene stürmische Zeiten, stürzten sich die Jüngeren auf dem Rummel ins Vergnügen, schüttelten im „Top Spin“ oder der „Drop Zone“ beim Sturz in die Tiefe reichlich Adrenalin aus. Strahlende Kindergesichter sah man bei einer Runde Clowns-Karussell oder beim Trampolin-Springen.
Historische Soldaten, Ritter, Landsknechte und Bürgerwehren aus ganz Deutschland versammelten sich am Sonntagmittag im Soldatenlager und begaben sich gemeinsam mit der Historischen Bürgergarde auf einen Rundgang über den Markt.
Einige Einzelhändler hatten sehr zum Wohlgefallen der Besucher ihre Geschäfte geöffnet. Mit dem Großfeuerwerk auf der Mauerwiese am Abend war der Markt noch lange nicht gehalten. Am Montag ging das Markttreiben lustig weiter und am traditionellen Familientag am Dienstag warten ermäßigte Fahrpreise auf die Unermüdlichen.