„Rapunzel war bestimmt eine Blondine! Warum? Andernfalls wäre sie die Treppe hinunter gestiegen und hätte die Turmtüre geöffnet!“ Die Entrüstung über die Geschmacklosigkeit dieses „Blondinen-Witzes“ relativiert sich bei der Betrachtung der Rolle, die Regisseur Kurt Spielmann der Märchenfigur „Rapunzel“ im gleichnamigen Märchenspiel zugedacht hat.
Auf der Balustrade des Treppenpodestes am Amtshaus sitzt eine einfältige Rapunzel (Dora Hildebrand), spielt mit dem Handy und singt wiederholt mit stark lispelnder Stimme: „Ich hab‘ die Haare schön, ich hab‘ die Haare schön!“
Währenddessen wendet sich die Fremdenführerin (Mels Schmidt) vor der traumhaften Kulisse des Brüder-Grimm-Hauses ans Publikum, das sich im Hof platziert hat. Im „Original Steinauer Amtshof-Theater“ führe sie nun durch das Märchen „Rapunzel“, kündigt sie an. Engagiert, als handele es sich um wichtige Begebenheiten der Stadt, trägt sie das Märchen nahe am Text der Brüder Grimm vor. Indessen muss sie allerhand Unterbrechungen hinnehmen. Eine fliegende Händlerin (Sabine Hildebrand) platzt ins Geschehen, um Sonnenhüte, Kekse und Limo zu offerieren. Eine Räuberbande (Isabell Rustum, Elwin Rustum, Lara Bös, Emmi-Luise Schmidt, Carolin Lami) stürmt heran und verkündet lautstark: „Wir haben Hunger, Hunger, Hunger, haben Durst!“
Das Publikum hatte seine helle Freude an den Kindern, die ihre Rollen als Räuber überzeugend erfüllten, hatten sie doch am Ende die Händlerin aller Süßigkeiten beraubt.
Die Fremdenführerin erzählt weiter: Ein Mann (Mohammed Rustum) stahl allabendlich im Garten einer Zauberin (Astrid Brauer) Rapunzeln und brachte sie seiner Frau (Jacqueline Schmahl), die ein Kind erwartete. Von der Zauberin erwischt, verlangte diese das Kind der Eheleute.
Die Zauberin nannte das Mädchen Rapunzel und nahm es mit sich fort. Als Zwölfjährige schloss sie das Kind in einen hohen Turm, der weder Tür noch Treppe, sondern nur hoch oben ein kleines Fensterchen hatte. Die Zauberin gelangte hinauf, indem sie rief: „Rapunzel, lass dein Haar herunter!“ An dem langen blonden Zopf der Rapunzel kletterte sie hinauf. Ein Prinz beobachtete das Treiben und verschaffte sich auf dieselbe Weise Zugang zum Turm.
Der Prinz im Amtshof (Tanja Hildebrand) ist allerdings nicht gerade mit Weisheit gesegnet, denn er ruft: „Furunkel, lass‘ dein Haar herunter!“
Als die Zauberin von den Besuchen des Prinzen erfuhr, schnitt sie Rapunzels lange Haare ab und verbannte das Mädchen in eine Einöde. Der Prinz stürzte sich in seiner Verzweiflung vom Turm, erblindete und fand Jahre später seine Rapunzel mit den gemeinsamen Zwillingen wieder. Ihre Freudentränen brachten ihm das Augenlicht zurück.
„Ich kann wieder sehen, schwarz-weiß und bunt“ ,freut sich der Königssohn. Die Räuberbande freut sich mit und singt den Faschings-Hit: „Und dann die Hände zum Himmel!“
Die Präsentation des Grimmschen Textes gepaart mit Klamauk besetzter Szenendarstellung stellte die Schauspieler vor besondere Herausforderungen. Mit überzeugender Mimik und Gestik meisterten sie die grotesken Szenen des von Kurt Spielmann erdachten gut halbstündigen Spiels.
Weitere Vorstellungen im Steinauer Amtshof sind am 28. und 29. Juli um 17 Uhr.