Kuriose Kombinationen von Schauspiel und Regie

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„Wir müssen uns anstrengen, unser Publikum hat‘s Abitur!“, konstatierte Zirkus-Conférencier Gerold Lotz, nachdem die Zuschauer Goethe-Zitate postwendend richtig zugeordnet hatten. So gab der Conférencier die Manege frei für die Premiere des Theaterkabaretts „Gretchen 89ff“ von Lutz Hübner unter der Regie von Felix Wiedergrün.
In einer temporeichen Szenenfolge „Faust I – leicht gekürzt“ führten Thomas Hummel, Felix und Sarah Wiedergrün in Goethes Werk „Faust I“ ein. Bekannte Zitate, wie „Hier steh‘ ich nun, ich armer Tor! Und bin so klug als wie zuvor!“ oder „Hier bin ich Mensch, hier darf ich‘s sein!“ brachten die gelbe Reclam-Ausgabe in Erinnerung, auf deren Seite 89 und den folgenden Seiten der Gretchen-Monolog abgedruckt ist. Die Zuschauer im Spessart Forum wurden nun Zeugen von Theaterproben, bei denen genau diese Szene geprobt wurde.
Unterschiedliche Regisseure und Schauspielerinnen widmeten sich mit ihren ureigenen Interpretationen der kurzen „Kästchen-Szene“, denn Gretchen findet im Elternhaus ein Schmuckästchen, das Faust ihr hinterlassen hat. Dabei traf jeweils eine Schauspielerin mit eigenem Spielansatz auf die extravagantesten Ansprüche eines Regisseurs.
Die skurrilen Interpretationen des kurzen Textes: „Es ist so schwül, so dumpfig hie, und eben doch so warm nicht draus. Es wird mir so, ich weiß nicht – wie. Ich wollt‘, die Mutter käm nach Haus“, sorgten für viel Heiterkeit im Publikum.
„Ich will Wahrheit, kein schönes Theater! Wirf dich auf den Boden! Das ist Schmerz, geknechtete Kreatur!“, kommandiert der Ketten rauchende „Schmerzensmann“ (Walter Bröckers-Wessolowski, Annette Wessolowski).
Dem „alten Haudegen“ (Horst Dieter Hellkuhl, Julia Lotz) ist es hingegen völlig gleichgültig, was die Darstellerin vorträgt, sinniert er doch geistesabwesend über ehemalige Kollegen und Theatervorstellungen.
Temperamentvoll wird es hingegen, als eine anspruchsvolle Diva auf einen unerfahrenen Regisseur (Elisabeth Ghulam, Aaron Treiber) trifft. Die Exzentrische bezweifelt, in diesem „Saftladen am Arsch der Welt“ adäquat ihrer Berufung nachgehen zu können.
„Toll, Theater ist toll!“ ruft dagegen verzückt der Hospitant (Talal Azizi, Carina Zeller). „Den Dichter des Fleisches“ hat „der Freudianer“ im Blick. Es gehe um sexuelle Unterdrückung, interpretiert er die Gretchenszene und scheut sich nicht, der Schauspielerin auf die Pelle zu rücken (Rudolf Falk, Julia Lotz).
Mit einem überdimensionierten Bleistiftspitzer ausgestattet, frönt „der Streicher“ seiner Teezeremonie und erklärt: „Das muss knapper werden!“ Das Bleistift rattert im Spitzer und verweist auf die nächste Streichung. „Das Kästchen ist gestrichen, ist ja sowieso nur ein Nebenstrang!“, verfügt der Unerbittliche. „Was soll ich denn überhaupt noch sagen?“, heult die fassungslose Darstellerin. Prompte Reaktion: „Ich überlege, ob wir die Szene überhaupt noch brauchen.“ Lachsalven des Publikums begleiteten das überzeugende Szenenspiel von Thomas Hummel und Sarah Wiedergrün.
„Eine Anfängerin“ macht ihrem Regisseur das Leben schwer (Franziska Hagemann, Aaron Treiber), während sich „die Dramaturgin“ in der Welt der Psychologie verliert und über „Frauen als Spielmaterial des Männlichen“ referiert (Annette Wessolowski, Walter Bröckers-Wessolowski).
Einen Gretchenmonolog im Walzerschritt favorisiert „das Tourneepferd“, ein Regisseur mit Wiener Schmäh, der mit dem schauspielernden „Schatzerl“ gerne auf Tuchfühlung geht (Felix Wiedergrün, Tanja Steinbock).
Mit wahrer Spielfreude brachte das Ensemble die kuriosen Kombinationen von Regisseuren und Schauspielerinnen auf die Bühne und unterhielt sein Publikum aufs Beste.
Mit spontanen Show-Einlagen, wie „Gretchen in der Therme“ sorgte feel-X für zusätzliche Überraschungen.
Vorstandsmitglied Wolfgang Kutzner dankte Bürgermeister Lothar Büttner, der die Schirmherrschaft für die Aufführungen übernommen hat, für jahrelange Unterstützung des Ensembles.
Weitere Aufführungen im Spessart Forum sind am 17. und 18. November jeweils um 20 Uhr.
Weitere Informationen für Theaterfreunde gibt es unter www.ensemble-feelx.de.