Plädoyer für die Donna Vulpia

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18 Jahre haben Wolfgang von Goethe und Christiane Vulpius in freier Liebe zusammengelebt, bevor der „alternde Olympier sein dümmliches Liebchen“ geheiratet hat. Das Urteil der Nachwelt über Christiane Vulpius war vernichtend. Romain Rolland nannte sie eine geistige Null. Thomas Mann sagte, sie sei „ein schönes Stück Fleisch, gründlich ungebildet“.
Beim literarischen Frühstück im Bücher-Café des evangelischen Pfarrzentrums in Schlüchtern hat Ernst Müller-Marschhausen das Bild der Räthin von Goethe ins rechte Licht gerückt. Der ehemalige Schulamtsdirektor bezog sich dabei auf die Recherche der Literaturwissenschaftlerin Sigrid Damm, die in einer zeitaufwendigen Puzzlearbeit alle Archive durchforstet hat und das Zusammenleben der Goethes anhand von Briefen, Tagebüchern, Notizen von Zeitgenossen und Akten von allen Gehässigkeiten der üblen Nachrede befreit hat.
„Der Dichterfürst liebte diese Frau leidenschaftlich und blieb ihr bis zu ihrem Tod in Dankbarkeit und ehelicher Liebe verbunden. Sie war die Managerin des Unternehmens Goethe“, betonte Müller-Marschhausen. Alle Biographien hätten dagegen den Eindruck vermittelt, dass diese Frau keine Bedeutung für Goethe gehabt habe. Sicherlich seien der Geheimrat und die Hutmacherin ein ungleiches Paar gewesen, als der Sohn August an Weihnachten 1789 geboren worden sei. Die höfische Gesellschaft zu Weimar hätte es durchaus akzeptiert, wenn Goethe die junge Vulpius mit Geld abgefunden, ihr einen anderen Mann vermittelt oder ihr eine Wohnung gemietet und sie weiterhin besucht hätte.
„Aber Goethe war kein stiller Sünder. Er widersetzte sich der zynischen Doppelmoral. Er wählte die menschlichste Lösung und bekannte sich zu dieser Frau. Er gründete eine Lebensgemeinschaft. Das war eine Tabuverletzung. Der Fürstenhof war empört“, zitierte der Referent aus der Sigrid-Damm-Studie. Immerhin sei der Einfluss des Geheimrates Wolfgang von Goethe in Weimar so groß gewesen, dass es ihm gelungen sei, Bestrafung und Ächtung Christianes abzuwenden.
Dass eine heimelige Häuslichkeit und ein fast normales Familienleben im heutigen Goethehaus geherrscht haben musste, belege eine Randnotiz des Direktors des Weimarer Gymnasiums, einem häufigen Gast, der viele Abende bei Christiane und Goethe verbracht hätte. Darin heißt es: „Abends sitzt er in seiner wohlgeheizten Stube, eine weiße Fuhrmannsmütze auf dem Kopf, ein Wolljäckchen und lange Flauschpantalons an, in niedergetretenen Pantoffeln und herabhängenden Strümpfen im Lehnstuhl, während sein kleiner Junge auf seinen Knien schaukelt. In einem Winkel die Donna Vulpia.“
354 Briefe hat Goethe an Christiane geschrieben und oft in schutzloser Offenheit seine erotische Liebe gestanden. In den späteren Jahren hätten sich Ton und Inhalt der Briefe verändert und sich mehr an der Bewältigung der Anforderungen des Alltags orientiert. Müller-Marschhausen war der Auffassung, dass die Phase nach der überstürzten Hochzeit von einer pragmatischen Liebe geprägt gewesen sei. In dieser Zeit trete das „Werk“ in das Zentrum Goethes Wirken. „Für den Dichterfürst galt der Satz: Ein Künstler existiert entweder als Mensch oder als Werk.“
Seit 15 Jahren veranstaltet die Gemeindebücherei im evangelischen Gemeindezentrum viermal jährlich ein literarisches Frühstück nach dem Sonntagsgottesdienst. „Unsere Gäste haben schon die unterschiedlichsten Bücher vorgestellt. Der eine hatte ein Faible für Hermann Hesse. Unser Dekan Fritz-Eckard Schmidt hatte sich den Krimis gewidmet“, berichtete Büchereileiterin Helga Horschig.